Nina Schedlmayer

Zwischen Text und Bild
Nina Schedlmayer, 2021, Facetten

„Neue Pläne können tatkräftig vorangetrieben werden“, riet das Horoskop der Salzburger Nachrichten allen Skorpionen. Den Fischen hingegen empfahl es: „Muten Sie sich nicht mehr zu, als ihre Kondition erlaubt. Sie müssen sich ja nicht gleich verkriechen.“

O doch, auch die Fische mussten sich verkriechen: An dem Tag, als das Horoskop erschien, erlebte die Gesellschaft einen staatlich verordneten Rückzug. Mit neuen Plänen für die Skorpione sah es auch nicht allzu rosig aus. Denn der 16. März 2020 wird als jener Tag in Erinnerung bleiben, als der Lockdown in Österreich begann. Dass es nur der erste sein würde, daran dachte damals noch niemand.

Wenn Sonja Meller die wenigen Zeilen des Horoskops dieses Tages - für alle Sternkreiszeichen - nun handschriftlich übereinanderlegt, dann ist dies als ironischer Kommentar lesbar: Wie kann jemand allen Ernstes glauben, dass die Menschheit in zwölf Gruppen einteilbar ist, die jeweils dieselben Ratschläge erhalten sollten? Meller notierte die Zeilen des erstens Sternzeichens – an diesem Tag: Widder – auf ein Blatt Papier, drehte dieses um 90 Grad, schrieb die Zeilen des nächsten Tierkreiszeichens auf – und immer so weiter, bis sich eine Art Gewebe über eine quadratische Fläche legte: Eine Weisheit, die angeblich die gesamte Bevölkerung erfasst, der Lesbarkeit entzogen und dennoch vorhanden. Sonja Meller gestaltet Bilder mit Worten, Zitaten und Buchstaben. „Texte und Sprache sind wie Bausteine für mich“, sagt sie. „Ich spiele gern damit.“

Ihre Vorläufer hat sie in den experimentellen Gedichten der Historischen Avantgarde – wie zum Beispiel den „Typoplastiken“ von Stefi Kiesler – Schreibmaschinenbilder, die im frühen digitalen Zeitalter einen populären Nachhall fanden (wenn Mails als Schriftbilder verschickt wurden); ebenso wie in der Konkreten Poesie, ein Ausdruck, den der Künstler Theo van Doesburg bereits 1930 prägte, und die sich in unterschiedlichen Ausformungen niederschlug, verwandt auch mit der visuellen Poesie eines Gerhard Rühm. In einem Band über letzteren schreibt Christina Weiss in Zusammenhang mit der Konkreten Poesie: „Das vereinzelte Wort oder das Sprachfragment verweisen nicht auf einen zwingenden Kontext, sondern lassen Sprache-in-Möglichkeit aufschillern. Die Fahndung nach dem möglichen semantischen Zusammenspiel der Bild- und Sprachelemente ist Aufgabe des Lesers, der Leserin. Der Text stellt sich her aus dem Prozeß der Betrachtung, des semantischen Auslotens, des Echos im Leser. Dem Leser bleibt es überlassen, wie schöpferisch gewandt er sich im Labyrinth des offenen Kontextes bewegt, wie er mögliche Bedeutungsgebungen aus dem Zusammenspiel der Bild- und Sprachelemente herausfindet. Solche Texte stellen sich quer, sie demonstrieren Sprache als Gerüst, reduziert auf Wortkörper, auf Lettern oder Lautfügungen.“

Sprache als Gerüst, reduziert auf Wortkörper, auf Lettern oder Lautfügungen: Das trifft auch auf Mellers Arbeiten zu. Allerdings arbeitet sie im Gegensatz zu vielen Vertreterinnen und Vertretern solcher Ansätze nicht mit Druck- sondern mit ihrer persönlichen Handschrift. Damit schafft sie eine gewisse Lockerheit. Diese stellt sich besonders heraus in einer Arbeit wie „in“, wo das immer und immer wieder hingeschriebene titelgebende Wort sich in einen Tornado verwandelt, vielleicht aber auch eine laufende Figur mit wehendem Gewand. Überhaupt arbeitet Meller in diesen Arbeiten stets mit dem Stilmittel der Wiederholung, arrangiert Sätze und Topoi („Und wenn sie nicht gestorben sind“) oder Wörter: ein Bild ist ausschließlich aus übereinandergelegten und ineinander verschobenen Os komponiert. Es hat patternartigen, fast ornamentalen Charakter und berührt damit auch die Vorliebe von arabischer Kalligrafie, die Sonja Meller hegt. Gleichzeitig verschwimmen einmal mehr die Grenzen zwischen Text und Bild – das O kann ebenso als Ring, als abstraktes Bildelement gelesen werden.

Zu den Arbeiten auf Papier gestaltet Meller, die ursprünglich aus der Bildhauerei kommt, auch dreidimensionale Werke in diesem Kontext, etwa jene Wörter, die sie in ihrer Installation „abfallend“ im Raum hängt. Es handelt sich um Adjektive aus einem Text von Katarina Holländer, die Meller auf Papier schrieb und ausschnitt. Wiewohl schwer lesbar, so lassen sich die Wörter doch entziffern. Schwieriger ist das bei einer Serie von Kronen aus Messingdraht. „Sprachlos“ heißt eines dieser Objekte, ein anderes trägt als Titel das berühmte Wittgenstein-Zitat „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“. Wie die anderen Arbeiten dieser Serie entzieht sich auch hier die Schrift der Lesbarkeit, weil die Buchstaben so weit auseinander gezogen sind – ähnlich wie in manchen Lichtarbeiten der Künstlerin Brigitte Kowanz übrigens, die gerne mit unlesbaren oder auch chiffrierten Wörtern und Texten arbeitet.

Die Sprachlosigkeit manifestiert sich buchstäblich im Objekt selbst – und setzt ihrem imaginären Träger, ihrer Trägerin die Krone auf. So entstehen Zwischenräume zwischen Sprache und Bild, Wort und Objekt - die vom Betrachter, der Betrachterin gedanklich und kreativ zu füllen sind.

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