Grenzgängerin zwischen den Sinnen
Lisa Spalt, 2017, Die Referentin
Sonja Meller – das sind für mich zuerst einmal: feine Fäden und die Beteiligung aller Sinne, meint Lisa Spalt, die die Bildende Künstlerin und Illusionistin Sonja Meller getroffen hat.
1999 hängt sie – es ist Winter – an langen Schnüren wunderschöne rote Äpfel in die Linzer Martinskirche. Schon außerhalb des Gebäudes ist der Duft der Pracht wahrzunehmen. Da ist sie: „Diese Süße, die sich erst verdichtet“, ein Gewebe von Assoziationen, das sich erfreulich fassbar darbietet. Als Geschaffenes sind die Früchte anbetungswürdig, als Utensil der verführenden Eva negativ und attraktiv zugleich. Und dann hängen sie auch noch in Reichweite, von diesem Angebot der Erkenntnis könnte man abbeißen, das alles, dieses Paradies, hängt einem in den Mund als Verheißung, die sich – welch ein Glück – mitten im Alltag auftut. So bietet sich das Kunstwerk an als ein Weg zu einer süßen Erfahrung: Erkenntnis gewinnt der Leib, Erkenntnis wird über die Sinne erreicht.
Mit dem Geschmack, der Vorstellung desselben oder der Erinnerung an diesen spielt Meller in der Arbeit „Honighimmel“?aus dem Jahr 2015. Fäden hängen im Kreis von der Decke, die Künstlerin lässt an diesen Honig in eine goldene Schale rinnen. Die Arbeit ist auf Auftrag der Diözese Linz zum Thema Advent entstanden. Ihr sinnlicher, Zeit streckender Aspekt, der das Ankommen – diesfalls des Honigtropfens in der Schale – zum süßen Ankerpunkt der Erwartung macht, wirkt, wie die Künstlerin berichtet, sogar auf Kinder, die sich von der Arbeit kaum losreißen können. Zu spannend ist es, zuzusehen, wie der süße, klebrige Tropfen dem Abgrund zurinnt und sich endlich dazu entschließt, vom Fadenende in die Schale zu hüpfen, das Ros’ ist entsprungen, der Tropfen malt in der Schale sein zähes Gemälde. Aufregend ist der Moment der Suspension, der Moment des Atem-Anhaltens, wenn der Tropfen sich im freien Fall befindet, sich nirgends mehr festhält, nichts berührt, während er von einer „Welt“ in die andere wechselt. Die Arbeit ist pure sinnliche Mitteilung, die es schafft, das Thema jenseits rationaler Überlegung erfahrbar zu machen.
Sonja Meller, Magistra artium, hat von 1995 bis 2001 an der Kunstuniversität Linz Bildhauerei studiert, dann noch einen Master of Arts in San Francisco erworben. Sie arbeitet derzeit in einem Atelier des Egon-Hofmann-Hauses in Linz. Ihr Inter- esse gilt, wie man an den Arbeiten unschwer erkennen kann, vor allem dem Raum. Diesen verändert sie mit oft sehr zarten Angeboten, so auch bei der Arbeit „Eis-Grillen“, mit der sie 2009 mit Hilfe von „Lucky Chirping Crickets“ aus China Town?in San Francisco sommerliches Grillengezirpe auf den verschneiten Linzer Schlossberg zauberte und damit Raum quasi in zwei Jahreszeiten gleichzeitig versetzt. (Für nach wie vor Wintermüde gibt es übrigens eine Variante in der Dose. „Langsam öffnen“, steht drauf, als wären empfindliche, lebende Wesen drin und könnten sich erschrecken.)
So ist die Arbeit der Künstlerin also ins Akustische ausgeufert wie übrigens auch in „Sonic Fruit“ aus 2004, einer Arbeit, die in Kalifornien realisiert wurde: Goldene Früchte hängen an einem Baum, in ihrem Inneren verbergen sich Spieluhren, die jeweils Teile von Brahms’ „Wiegenlied“ spielen. Es liegt an den BesucherInnen, diese Teile zu aktualisieren und ein Ganzes ahnbar zu machen. Sich beteiligend dürfte man vielleicht erfahren, dass die Entstehung eines Brahms’schen Werkes ein seltener Glücksfall ist, der ein Zusammenspiel unzähliger Faktoren verlangt. In wie vielen tausende „Weisen“ andererseits Menschen hier zusammenwirken können, welche Möglichkeiten einer Musik die Zufallsgesellschaft der BesucherInnen aktualisieren kann, macht die Skulptur in sehr feiner Weise hörbar.
Musik spielt eine große Rolle in der Raumwahrnehmung der Künstlerin. Da fällt ihr an einem Verkaufsstand mit Grußpostkarten auf, wie spannend deren Soundfiles zusammenklingen. Aus dem Moment der Überraschung entsteht die Arbeit „Mash-ups“, die Grußpostkarten dazu verschränkt, in einen von ihrer eigentlichen Intention abweichenden Dialog zu treten: Jeweils zwei von ihnen werden so gepaart, dass ihr Zusammenklingen ganz neue, „unerhörte“ Musik ergibt.
Quasi musikalischen Raum wiederum inszenierend, hat Meller in der Sound-Installation „Mondscheinsonate“, die 2015 in der Galerie Forum in Wels gezeigt wurde, unterschiedliche Interpretationen des ersten Satzes der „Mondscheinsonate“ von Ludwig van Beethoven aneinander vermessen. Aus der kreisrunden Auslassung inmitten einer stilisierten Plattenhülle hängt ein Paar Ohrhörer. Befördert man sie an ihren Bestimmungsort, starten Interpretationen von Friedrich Gulda, Maurizio Pollini und Daniel Barenboim wie Synchronschwimmerinnen, beginnen nach einem ersten, noch gemeinsamen Moment, einander zu umspielen, abzufälschen, nachzuäffen. Jetzt wird musikalischer Ausdruck als fast räumlicher Abstand erfahrbar. Wie seltsam mutet es an, wenn die Diven der Klaviere sich im Aufeinandertreffen wie „verstimmt“ zeigen. Die Aura der Primaballerina, die das Piano für gewöhnlich umgibt, scheint sich daran zu stören, dass sie die Bühne mit einem Mal mit anderen Glorienscheinen teilen soll. Die Verstimmung bringt aber auch eine verstörende Wehmut mit sich, etwas wie ein Echo aus einer früheren Zeit. Die zeitlose Interpretation des Star-Pianisten scheint, wenn sie neben anderen steht, auf einmal vergänglich. Die Interpretation trägt nicht mehr, wie so oft, aus der Zeit hinaus, sondern zeigt, dass sie eine unter anderen ist und dass wir hier eben eine Aufnahme zu hören bekommen, eine Konserve einer Zeit, die schon vergangen ist und die sich vom Musiker, dem Star, längst getrennt hat. Auch bei dieser Arbeit ist es neben der sinnlichen Erfahrung die Einfachheit der Mittel, die verblüfft. Sonja Meller arbeitet wie eine Illusionistin, die mit einfachsten Utensilien die Welt verzaubert. Wahrscheinlich gelingt ihr das auch so gut, weil sie niemals auf ökonomische Verwertbarkeit schielt, sind ihre Arbeiten doch größtenteils leichte, temporäre Eingriffe in Räume und selten Objekte, die man trophäenhaft nach Hause mitnehmen könnte. Zuweilen sind sie kaum noch fassbar, so zum Beispiel im Fall der Schneebälle, die die Künstlerin 2008 am Pöstlingberg mit Lebensmittelfarbe einfärbt und dann an Passanten verschenkt. Ein Hauch von Kindheit und Jahrmarkt – dann ist die Skulptur auch schon Geschichte.